Der Ort Tellow
Das Reallabor Mustergut Tellow hat eine geschichtsträchtige Adresse. An diesem Ort hat Johann Heinrich von Thünen im Jahr 1809 ein landwirtschaftliches Gut erworben, das er in den Folgejahren zu einer Musterlandwirtschaft entwickelte. Zum Zeitpunkt des Erwerbs blickte Thünen auf eine kurze akademische Ausbildung bei Lucas Andreas Staudinger (1770-1842) und Albrecht Daniel Thaer (1752-1828) sowie auf ein knapp einjähriges Studium an der Universität Göttingen zurück. Vor Tellow scheiterte er bei seinem ersten Versuch, ein Gut in Rubkow in Vorpommern erfolgreich zu bewirtschaften – u. a. diese Erfahrungen und seine spätere detaillierte Tellower Buchführung waren maßgebend, die von Thaer propagierte moderne Fruchtwechselwirtschaft als für alle Standorte und Marktentfernungen gleichermaßen geeignet anzusehen. Daher wählte Thünen beim zweiten Versuch das Gut Tellow sehr sorgfältig aus. Das Gut musste die Chance bieten, Wissenschaft und Praxis produktiv miteinander zu verknüpfen.
Das Gutshaus in Tellow, in dem Thünen bis zu seinem Tod im Jahr 1850 lebte, sowie das gesamte alte Tellower Gutsensemble, das dem Landkreis Rostock gehört, wurde seit 1972 als Museum genutzt. In dem Museum wurden die Geschichte des Standorts, die regionale Agrargeschichte und vor allem die praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse Johann Heinrich von Thünens – auch in einer internationalen Rezeption – dargestellt. In den gut erhaltenen Originalräumen im Wohnhaus, im Stall und in der Scheune wurde sein Wirken und Leben präsentiert. Ende 2020 schloss der damalige Betreiber das Museum. Eine neue Museumskonzeption für das gesamte Ensemble, die sich am Thema Nachhaltigkeit ausrichtet, wartet nun auf ihre Umsetzung.
Johann Heinrich von Thünen gilt als Begründer der Agrarökonomie und der landwirtschaftlichen Standortlehre und bedeutender Volkswirt des 19. Jahrhunderts. Weniger wahrgenommen werden seine Arbeiten als Wegbereiter einer nachhaltigen Landwirtschaft. Thünen richtete die Bewirtschaftung seines Gutes und auch sein privates Leben an den Prinzipien der Nachhaltigkeit aus. Sein Interesse galt sowohl wissenschaftlichen als auch praktisch ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen. Beispielhaft zu nennen sind hier seine Experimente und Analysen zur Humusanreicherung von Böden, zur Organisation der Nutzung von Allmendegütern sowie zur Optimierung der Rotationsperiode von Wäldern. Seine Ableitung und weiteren Überlegungen zum naturgemäßen“ Lohn verbinden seine wirtschaftswissenschaftllichen Erkenntnisse mit ethischen und sozialpolitischen Forderungen zur Schaffung der dazu erforderlichen Rahmenbedingungen auch im damaligen Mitteleuropa (Förderung technischen Fortschritts, verbesserter Allgemein- und berufliche Bildung und gleichzeitiger Verringerung des Bevölkerungszuwachses). Durch sein komplexes, systemisches und vorausschauendes Denken und durch seinen humanistischen Ansatz bei seinem eigenen Forschen und Handeln wurde sein Werk überhaupt erst möglich – und seine Vision rückblickend auch bestätigt.
Für das Mustergut Tellow gilt es hier anzuknüpfen und Wege einer zukunftsfähigen Agrarwirtschaft im Einklang von Mensch und Natur aufzuzeigen.
Literatur
- Thünen-Museum-Tellow (2019, Hrsg.): Das Gut des Johann Heinrich von Thünen – Geschichte seiner Wirkungsstätte und Vermächtnis für eine nachhaltige Landwirtschaft. Tellower Thünen-Schriften, Band 12.
- Thünen, Johann Heinrich von (Reprint des Thünen-Museum-Tellow in Zusammenarbeit mit der Thünengesellschaft e.V. 2008, Hrsg.): Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie – 3. Teil. Tellower Thünen-Schriften, Band 8.
- Stamer, Hans (1994, Hrsg.): Johann Heinrich von Thünen – Seine Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Sicht (1783-1850). Gemeinsame Tagung der Thünen-Gesellschaft e.V. und der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V. am 24./25. Juni 1993. Berichte über Landwirtschaft, Sonderheft 210.